Im Norden hat der lang ersehnte wirtschaftliche Aufschwung eingesetzt, allerdings befürchtet man die Manifestierung der Teilung – Eine Reportage aus Nordzypern für derStandard.at.

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In der Bar eines großen Hotels in Kérinia/Girne an der Nordküste preist ein britischer Immobilienmakler britischen Hotelgästen Bungalows in Nordzypern an. Überall in der Stadt stolpert man über „Real Estate Agents“, in der Umgebung entstehen ganze Bungalowstädte und wo früher kaum ein Restaurant zu finden war, schießen sie nun wie Pilze aus dem Boden.

Der alte Hafen von Kérinia/Girne: In der Stadt an der Nordküste Zyperns lebten griechische und türkische Zyprioten früher zusammen.

Nachdem der Separatstaat Nordzypern mehr als 30 Jahre isoliert war, haben ausländische Investoren nun die Insel entdeckt. Vor allem aus der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien, aber auch aus Deutschland und Israel kommen die Interessenten für die Wohnhäuser „im sonnigen Nordzypern“. Skeptisch beobachtet Kellner Sener E. die heitere Runde in seiner Bar: „Wenn die alle Häuser kaufen, bleiben die Hotelgäste aus“, befürchtet er.

Sorge über neue Hürden

Restaurantbesitzer Baris U. ist aus einem anderen Grund nicht glücklich mit der derzeitigen Entwicklung, denn gebaut wird in vielen Fällen auf dem Grund vertriebener griechischer Zyprioten. „Das ist nicht in Ordnung“, ärgert er sich. Er befürchtet, dass dies einen neuen Anlauf für eine Lösung erschweren könnte: Vor 1974 waren – wie überall auf der Insel – griechische Zyprioten in der Mehrheit, ihnen gehörten 80 Prozent des Bodens, weshalb die Restitution eines der zentralen Themen bei Verhandlungen ist. Zugleich aber ist dem Wirtschaftswachstum im türkischen Teil Grenzen gesetzt, so lange es keine Lösung gibt. „Wo sollen wir denn bauen?“, beschreibt Parlamentssprecherin Fatma Ekenoglu das Spannungsfeld, in dem sich die Führung im Norden bewegt.

Baris U. reicht diese Begründung nicht, denn auch wenn er selbst von den ausländischen Gästen lebt, ist es ihm wichtiger, dass sich seine Seite die Chancen auf eine Lösung nicht verbaut. Mit der Wiedervereinigung wäre sein innigster Wunsch in Erfüllung gegangen, wieder mit den griechischen Zyprioten Tür an Tür zu leben und die türkischen Besatzer endlich loszuwerden. Erhofft hatte er sich aber auch eine Verbesserung seiner wirtschaftlichen Situation, denn mit seinem kleinen Gastgarten sichert er den Unterhalt seiner vierköpfigen Familie. Sein Einkommen als Beamter reicht dafür nicht aus.

EU-Personalausweise

Groß ist auch seine Enttäuschung, dass die griechischen Zyprioten die im Annan- Plan vorgeschlagene Wiedervereinigung so deutlich abgelehnt haben. Inzwischen hält er es sogar für besser, wenn die beiden Volksgruppen weiterhin getrennt voneinander lebten. Zwar fahre er nach wie vor gerne in den Süden, inzwischen mit dem Personalausweis der Republik Zypern in der Tasche, den viele seiner Landsleute beantragt haben, um leichter ins Ausland reisen zu können. Auch nimmt er die von der Republik angebotene und für türkische Zyprioten kostenlose ärztliche Versorgung in Anspruch. „Aber ich bin froh, wenn ich danach wieder in unseren Teil zurückkehren kann“, meint er heute.

„Oxi“ – „Nein“ hatten die griechischen Zyprioten im April 2004 zum Annan-Plan gesagt. Die wichtigsten Motive für die Ablehnung: Der vorgesehene Verbleib türkischer Truppen, die unzureichende Repatriierung türkischer Siedler sowie die Angst vor einer Blockade durch die im Plan vorgesehenen politischen Institutionen.

Anstelle der großen Euphorie, die nach Öffnung der Grenzen im Jahr 2003 und im Vorfeld des Referendums herrschte, hat sich in Nordzypern Ernüchterung breit gemacht. Bestärkt in ihrer Skepsis gegenüber ihren griechischen Mitbürgern sehen sich die türkischen Zyprioten nicht nur durch das Ergebnis der jüngsten Parlamentswahl, bei der die Partei von Präsident Tassos Papadopoulos dazu gewonnen hat. Für die türkischen Zyprioten ist Papadopoulos ein rotes Tuch, weil er intensiv für ein Nein beim Referendum geworben hatte.

Umfrage

Für weitere Irritationen sorgt eine Umfrage des griechisch-zypriotischen Fernsehens CyBC, die im April im Vorfeld der Wahlen durchgeführt worden war. Sie ergab, dass fast die Hälfte der griechischen Zyprioten es vorziehen, getrennt von ihren türkischen Nachbarn zu leben, weitaus höhere Werte gab es bei den Befragten im Alter von 18 bis 24. Bei CyBC relativiert man: Es sei abgefragt worden, ob man unter den derzeitigen Bedingungen mit den türkischen Zyprioten zusammenleben wolle. Wäre danach gefragt worden, ob sie im Falle einer Lösung mit den türkischen Zyprioten zusammenleben wollten, wäre ein Wert von 90 Prozent herausgekommen, meint ein Mitarbeiter.

Die Einwände der griechischen Zyprioten sind für ihre türkischen Nachbarn nur schwer nachvollziehbar, vor allem fühlt man sich im Stich gelassen, weil durch das griechische Nein nun alles beim Alten bleibt. „Im Rahmen des Annan-Plans hätten die türkischen Truppen abziehen sollen, nun aber sind sie nach wie vor da“, meint Ayse Y., eine junge türkische Zypriotin, die mit der Anwesenheit der türkischen Armee, die von vielen als Schutzmacht gesehenen wird, alles andere als glücklich ist. „Ich habe dafür gestimmt, dass die Armee abzieht. Es waren die Griechen, die dies mit ihrem Nein verhindert haben“, meint auch Präsident Mehmet Ali Talat. Angesichts der Kräfteverhältnisse, aber auch mancher Aussagen von griechisch-zypriotischen Politikern, so meint er, sei die gegenwärtige Präsenz nötig.

Dieser Grenzübergang in der Hauptstadt Nikosia sollte eigentlich schon längst eröffnet sein. Allerdings wollte die türkisch-zypriotische Seite den Übergang nur über eine Brücke ermöglichen, um den türkischen Militärfahrzeugen die Durchfahrt weiterhin zu ermöglichen. Inakzeptabel fand die griechisch-zypriotische Seite und blies die Eröffnung ab.

Im Stich gelassen fühlen sich die türkischen Zyprioten aber auch von der EU. Weil der Annan-Plan von mehr als 60 Prozent der türkischen Zyprioten angenommen worden war, hatte die EU damals Maßnahmen angekündigt, um den Norden für sein Ja nicht noch zusätzlich zu bestrafen. In Aussicht gestellt wurde ein Finanzpaket sowie direkter Handel. Ein erster Schritt wurde mit der Verabschiedung der sogenannten „Green Line Regulation“ getan, die den Warenverkehr zwischen Nord- und Südzypern erleichterte. Beschlossen hat die EU inwischen auch das Finanzpaket, verhandelt werden noch Details.Angst vor Anerkennung

Am Beispiel der EU-Maßnahmen offenbart sich aber ein zentrales Problem zwischen beiden Seiten: Die größte Sorge auf griechisch-zypriotischer Seite ist, dass die Anerkennung des Nordens vorbereitet werden könnte. Lang genug war mit Denktas auch ein Anhänger dieser Lösung an der Macht. Die gegenwärtigen Bestrebungen der türkisch-zypriotischen Regierung nach einer Aufhebung der Isolation verfolgen die griechischen Zyprioten mit Argusaugen, weil befürchtet wird, dass nun auch der neue Präsident Talat auf eine Teilungspolitik umschwenken und damit auch die Bemühungen um eine Lösung aufgeben könnte.

Zwar befürworteten die griechischen Zyprioten die finanziellen Förderungen durch die EU, sie beharrten aber darauf, dass nicht gleichzeitig auch direkter Handel ermöglicht wird. Letzteres könnte in ihren Augen eine implizite Anerkennung des Nordens bedeuten. Deshalb konnte die Maßnahme auch erst verabschiedet werden, als die beiden Themen voneinander entkoppelt wurden.

Groß sind die Irritationen über das Verhalten der griechischen Zyprioten, das aus Sicht der türkischen Zyprioten auch Beteuerungen der anderen Seite immer unglaubwürdiger erscheinen lässt, nach wie vor an einer Lösung interessiert zu sein.

Warnung vor Manifestierung der Teilung

Die türkisch-zypriotische Führung warnt inzwischen davor, dass die Teilung auch ohne offizielle Anerkennung manifestiert werden könnte (siehe derStandard.at- Interview mit Präsident Talat). Denn je länger die derzeitige Situation anhalte, desto mehr Fakten würden geschaffen – wie etwa durch den Bau von Häusern auf griechisch-zypriotischem Boden – und desto schwieriger könnte es werden eine neue Lösung zu finden.

Die hinter den Sonnenschirmen entlang des Strandes stehenden Gebäude gehören zur Geisterstadt Varosha. Die griechischen Zyprioten haben vorgeschlagen, dass der Hafen von Famagusta unter Ägide der EU gestellt werden und für den freien Handel geöffnet könnte, im Gegenzug dafür würden die türkischen Zyprioten Varosha an ihre südlichen Nachbarn zurückgeben.

Vorschläge abgelehnt

Die von den griechischen Zyprioten vorgeschlagenen vertrauensbildenden Maßnahmen lehnt man ab, weil darin die Fortsetzung einer Politik gesehen wird, bei der die griechischen Zyprioten sich zu Vertretern des Gesamtstaats machen und den türkischen Zyprioten die Gleichbehandlung verwehren. Genau darin sehen türkische Zyprioten auch den eigentlichen Grund, warum die griechischen Zyprioten den Annan-Plan abgelehnt haben: „Sie wollen ihre Macht nicht mit uns teilen“, meinen Präsident Talat und Premier Soyer. Anders sei es nicht zu erklären, dass selbst griechisch-zypriotische Flüchtlinge, die laut Annan-Plan in ihre frühere Heimat zurückkehren hätten können, beim Referendum Nein gesagt haben.

Weiterhin betonen Parlamentssprecherin Fatma Ekenoglu, Premier Soyer und Präsident Talat ihre Bereitschaft zu neuen Verhandlungen auf Basis des Annan-Plans. Auch bei vielen türkischen Zyprioten ist das Interesse weiterhin groß, wie denn „die griechischen Zyprioten“ nun eigentlich denken. Nach wie vor ist auch die Neugier groß, jenen Teil des Landes zu erkunden, von dem man bislang abgeschnitten war.