Mit einiger Verspätung habe ich den heiß umstrittene Auftritt der deutschen Schauspielerin Katja Riemann nun angesehen. Mein Fazit: Die Welt steht Kopf, und zwar ordentlich! Nicht sie nämlich sollte sich dafür rechtfertigen müssen, dass sie mit den Fragen des Moderators so gar nichts anfangen konnte und das auch deutlich zum Ausdruck brachte. Unter Rechtfertigungszwang müsste vielmehr Moderator Hinnerk Baumgarten stehen!

Warum? Allein schon deshalb, weil man seichtere Interviewfragen kaum hätte stellen können. Drei Beispiele:

Moderation auf Augenhöhe?

Sehr schnell beschlich mich das Gefühl, dass er nicht mit einer Schauspielerin und einem erwachsenen Publikum sprach, sondern vielmehr mit kleinen Kindern. „Wer ist die Inga, die Sie spielen – in kurzen Sätzen?“, lautete denn eine Frage, die er stellte. Riemann wiederum hätte grandioser kaum reagieren können: Sie machte aus ihrer Irritation keinen Hehl und bat Baumgarten, diese Frage doch bitte selbst zu beantworten. Sie schien den Braten schon gerochen zu haben: Nicht das politische Thema des Films interessierte den Moderator (RAF aus der Distanz betrachtet), sondern vielmehr die persönlichen Beziehungen zwischen den handelnden Personen. Eine ziemliche Verkennung der Person Katja Riemann, wie später mehr als deutlich werden sollte.

Einbruch in die Privatsphäre

Nach wie vor stehen mir die Haare zu Berge, wenn ich mir den weiteren Verlauf des Interviews bzw. der Sendung noch einmal durch den Kopf gehen lasse – und mein Respekt für Katja Riemann wuchs exponenzial an.

Der nächste Streich: Ein Beitrag über das Dorf, in dem Riemann aufgewachsen ist. Darin zu Wort kam die ehemalige Kunstlehrerin, die sich noch genau an „die kleine Katja“ erinnern wollte. Als nächstes betrat man mit der Kamera das Haus, in dem die Schauspielerin als Kind gelebt hat – geführt von der Frau, die heute darin wohnt und die von Riemann Gitarre spielen gelernt haben will. Schließlich kam noch ein Nachbarpaar zu Wort, mit deren Tochter Riemann als Kind gespielt hat – die auch noch bereitwillig Kinderfotos in die Kamera hielten. Nach wie vor bewundere ich Riemann dafür, dass sie diese Personen nicht direkt kritisierte. Angesichts des massiven Eindringens in ihre Privatsphäre hätte ich das sehr gut nachvollziehen können. Respekt einmal mehr!

Wie Katja Riemann darauf reagierte, sorgte anscheinend für Aufregung. Ich jedoch kann ihre Reaktion sehr gut nachvollziehen und finde sie sogar schwer sympathisch. Es war ihr sichtlich unangenehm, dass in einem TV-Beitrag derart intime Geschichten ausgepackt werden. Ja, das war an ihrer Körpersprache auch deutlich erkennbar. Und für mich bleibt unterm Strich: Der Beitrag war ein Eingriff in die Privatsphäre der Schauspielerin, der einem öffentlich-rechtlichen Sender eigentlich unwürdig ist.

Frau Kampusch, schauen Die ume!

Der dritte Streich des Moderators folgte nach einem weiteren Beitrag. Dieses Mal gings um das ehrenamtliche Engagement von Katja Riemann für Mädchen, die zu Skavinnen gemacht werden. Im Portrait wurde eine ebensolche Frau gezeigt, die sich inzwischen befreit hat. Beitrag vorbei, Moderator Baumgarten stieg schon mit einem fast unerträglichen Betroffenheitshabitus ein – und legte noch eins drauf: „Wunderbare Frau, wie ich finde. Ist natürlich auch aufgefallen, dass sie mit diesem Schicksal trotzdem noch einen so positiven Gesichtsausdruck hat, einfach positiv in die Zukunft blickt“, sagte er. Nein?!!! Ein Opfer, das nicht leidet bis an sein Lebensende? Natascha Kampusch, schauen Sie ume!

Was danach kam, entzieht sich meiner Erkenntnis, denn da verlor ich schlichtweg die Geduld. Zugegeben, ich habe die Sendung zum ersten Mal gesehen und weiß nicht, ob die Interviewführung immer so boulevardesk ist. Wenn dem so ist, mag man auch einwenden, dass Riemann das vorher hätte wissen können – und wenn ihr das nicht beliebt, wäre es ihr ja durchaus frei gestanden, in diese Sendungen nicht zu gehen. Umgekehrt aber: Es ist ihr gutes Recht, trotzdem hinzugehen und dort Ecken und Kanten zu zeigen.
Dass sie diese ausgefahren hat, dafür hat diese wunderbare Schauspielerin und Sängerin schlichtweg meinen Respekt! Und der Moderator? Nun ja, warum auch immer er dieses Interview so geführt hat, wie er es geführt hat: Es war ein Kammerschauspiel!