„Entgegen vieler Vorurteile gibt es heute sehr viele junge JournalistInnen, die bereit sind, sich kritisch mit der Welt und sich selbst auseinanderzusetzen – doch sie werden immer schlechter bezahlt.“ Das und vor allem einige Gedanken zum Thema „Wie Medien Vorurteile schüren“ habe ich in einem Newsroom-Interview von mir gegeben:

NEWSROOM: Frau Fercher, bei „Twitter“ haben Sie geschrieben: „Entnervt nach Recherche zu Nigeria: Wann wird das endlich aufhören, dass Medien Begriffe wie „Stammeskonflikte“ und „Ureinwohner“ verwenden?“ Was nervt Sie genau an diesen Begriffen?

Sonja Fercher: Was mich daran stört ist das Bild, das von Afrika damit indirekt transportiert wird: Der Begriff Stamm impliziert etwas Archaisches und weckt entsprechende Assoziationen. Wenn über Konflikte in Europa berichtet wird, gibt es Nationen, Regionen, man spricht von Ethnien oder Minderheiten, denn damit würden wir Gesellschaftsformen bezeichnen, die es in Europa vor Jahrtausenden gegeben hat. Wird also ein solcher Begriff im Zusammenhang mit Afrika verwendet, wird damit Rückständigkeit suggeriert. Wenn Medien solche Begriffe reproduzieren, tragen sie damit auch zu einer bestimmten Wahrnehmung Afrikas bei.

Ähnliches gilt für den Begriff Ureinwohner: Für welche EuropäerInnen würden wir diesen Begriff verwenden? Wohl kaum für WienerInnen, BayerInnen oder BaskInnen. Wir würden in unserer Geschichte sehr weit zurückgehen, um den Begriff auf EuropäerInnen anzuwenden. Damit sind wir wieder beim gleichen Punkt angelangt, nämlich dass unterschwellig ein Bild von Afrika als rückständig gezeichnet wird.

NEWSROOM: Welche Begriffe würden Sie im Journalismus außerdem auf den Index setzen, wenn Sie könnten?

Sonja Fercher: Mich ärgert es nach wie vor, wenn von ‚Familiendrama‘ die Rede ist, wenn ein Mord von einem eindeutig identifizierbaren Täter verübt wird. Oder aber wenn von Entwicklungshilfe die Rede ist: Wir, die Entwickelten, helfen den Unterentwickelten dabei sich zu entwickeln – wenn das kein hierarchisches Bild ist! Sprich mich stören Begriffe, die – wenn auch nur unterschwellig – das Bild zeichnen, wonach „wir“, die EuropäerInnen, die entwickelten und modernen Menschen sind, während „die anderen“ rückständig oder „unterentwickelt“ sind. Von einem Index halte ich wenig, denn Begriffe und ihre Bedeutungen ändern sich und müssen daher wohl immer wieder hinterfragt werden, was auch geschieht.

Mir geht es aber nicht nur um Wörter, sondern auch um die Berichte selbst. Wenn über Länder immer nur von einem bestimmten Blickwinkel aus berichtet wird, dann formt das auch das Bild der LeserInnen von diesem Land. Ein Beispiel: Wenn die Türkei in den Medien nur dann vorkommt, wenn eine Frau zwangsverheiratet oder ein so genannter Ehrenmord verübt wird, dann prägt dies auch das Bild, das man sich hier von der Türkei macht. Das sind unerträgliche Missstände und es ist selbstverständlich die Pflicht von JournalistInnen, sie aufzuzeigen. Das ist auch kein Problem, wenn in anderen Berichten die komplexere Realität des Landes dargestellt wird.

Mir ist klar, dass auch das nicht immer möglich ist. Doch es ist sehr wohl die Aufgabe von JournalistInnen, die Berichterstattung über ein bestimmtes Land immer wieder kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls auch zu verbessern und vielfältiger zu gestalten. Immerhin ist Außenpolitik-Berichterstattung nicht abgekoppelt, sondern bestimmt mit, wie MigrantInnen aus diesen Ländern hier in Europa gesehen werden – und sie kann somit auch Vorurteile schüren. Andere Beispiele: Wenn die USA immer nur auf den Bible Belt reduziert werden, Frankreich auf die Banlieues oder Österreich auf die FPÖ.

NEWSROOM: Haben Medien überhaupt Ahnung von dem, was Sie berichten?

Sonja Fercher: Dass sie diese nicht haben ist auch ein beliebtes Vorurteil, das mich immer wieder ärgert. Natürlich gibt es auch solche Fälle. Was ich für weitaus problematischer halte ist, dass der Druck auf Journalistinnen und Journalisten immer mehr steigt: Immer weniger JournalistInnen müssen immer komplexere Zusammenhänge darstellen, sollen dies möglichst vom Tisch aus machen und das in einer Zeit, in der es immer mehr Quellen gibt und sich die Medienwelt zudem immer schneller dreht.

Eigentlich ist die jetzige Zeit herrlich, denn über Blogs oder Twitter oder andere Möglichkeiten kann man Eindrücke gewinnen und Informationen bekommen, an die man früher nie so einfach herangekommen wäre. Es ist aber nur vermeintlich einfach, denn auch diese Quellen wollen überprüft werden. Die immer knapperen Ressourcen, mit denen heutzutage in den vielen Medien gearbeitet werden muss, sind leider nicht gerade die besten Voraussetzungen dafür. Es ist eigentlich paradox: Entgegen vieler Vorurteile gibt es heute sehr viele junge Journalistinnen und Journalisten, die bereit sind, sich kritisch mit der Welt und sich selbst auseinanderzusetzen – doch sie werden immer schlechter bezahlt. Das ist ein Missstand, den anzuprangern ich im Moment für am drängendsten halte.