„Es ist interessant: Hier sagen mir die Leute immer, wie neidig sie sind, weil sie auch gerne so viel Zeit für die Recherchen hätten wie ich – dass dafür aber die Ressourcen fehlen würden. Aber man muss nicht die New York Times sein, um guten Investigativjournalismus machen zu können. Das Klagen über zu wenig Ressourcen ist eine Ausrede. Wenn man es will, geht es, egal, wie groß man ist.“ Mit dieser Aussage begegnete US-Journalist David Barstow am Montagabend dem Aufseufzen seiner österreichischen KollegInnen, die sich im Presseclub Concordia eingefunden hatten. Dabei war eins bemerkenswert: Dort sprach ein mehrfach preisgekrönter Journalist der New York Times, doch als Star gerierte er sich nicht – anders als so manche Investigativjournalisten in Europa. Vielmehr ist Barstow bescheiden, humorvoll und offen – und er ist ein leidenschaftlicher Journalist.

Höhere Sorgfalt

In seiner Keynote gewährte Barstow einen Einblick in seine Arbeitsweise und vor allem in seinen Arbeitsethos. Eine seiner größten Aufdeckergeschichten handelt vom US-Einzelhandelsriesen Walmart und dessen mit Bestechung gefütterten Erfolg in Mexiko. Bei der Arbeit als Investigativjournalist gehe man große Risiken ein, erklärte der US-Journalist, und er meinte damit weniger glorifizierte Aspekte des investigativen Journalismus: „Man muss deutlich mehr Sorgfalt walten lassen. Denn man weiß, dass dutzende Anwälte jede einzelne Zeile durchgehen werden, um nach Fehlern zu suchen.“ Ein weiteres Risiko gehen die Whistleblower selbst ein, das Risiko eingeschlossen, ihren Job zu verlieren. Auch dies mache eine deutlich größere Sorgfalt nötig. Nicht umsonst würden an die Geschichten auch deutlich höhere Erwartungen gestellt.

Verführung: Übertreibung

All diese Risiken seien auch verführerisch, gibt Barstow zu bedenken: „Man ist dazu verleitet, Abkürzungen zu nehmen, Ergebnisse zu übertreiben oder aber zu unlauteren Mitteln zu greifen – nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel.“ Er selbst rät dringend davon ab: „Die Menschen, über die man berichtet, lieben nichts mehr, als dass Du einen Fehler machst. Denn dann können sie die Geschichte drehen.“ Als Beispiel für solche Spins nannte Barstow eine Undercover-Geschichte des US-Senders abc. Darin ging es um als neu verkauftes altes Fleisch. Um dies zu beweisen, hatten sich JournalistInnen des Senders in die Firma „eingeschlichen“ und mit versteckter Kamera gedreht. Die Firma klagte, abc wurde verurteilt und stand am Ende selbst am Pranger (siehe: „The Lion’s Share“, American Journal of Journalism, März 1997).

Im zweiten Beispiel behandelten mehrere Artikel der US-Zeitung Cincinatti Inquirer die Firma Chiquita und deren fragwürdige Aktivitäten in Lateinamerika. Dabei wurden Informationen verwendet, die sich ein Journalist illegal beschafft hatte. Auch hier war es letztlich die Zeitung, die ins Schussfeld geriet, nicht Chiquita (siehe „Bitter fruit“, American Journal of Journalism, September 1998). „Nein, nein, nein!“, kommentierte Barstow Methoden wie diese. Seine Regel: „Tue nichts, das deine moralische Authorität in Frage stellen könnte!“ Denn es bleibe ein bitterer Nachgeschmack. Wenn man illegale Methoden verwende, um an Informationen zu kommen, leide zu Recht die Glaubwürdigkeit der ganzen Geschichte.

Demut aus Respekt vor der Komplexität der Welt

„Ich lebe dauernd in Angst, dass ich etwas falsch machen könnte“, erklärte Barstow die Hintergründe für seine Zurückhaltung. „Die der Welt inhärente Komplexität führt dazu, dass man immer auf die eine oder die andere Weise scheitern wird. Zu wissen, dass ich keine Abkürzung genommen habe, dass ich mich nicht schämen muss, wenn meine Mutter von etwas erfährt: Das macht es mir möglich, in der Nacht gut zu schlafen.“

Das sei auch der wesentliche Grund, warum er bei seinen Recherchen eine „radikale Transparenz“ walten lasse. So konfrontiere er schon sehr früh die Beschuldigten in einer Untersuchung mit Vorwürfen. „Ich habe Walmart viele, viele Monate, bevor ich den Artikel veröffentlicht habe, kontaktiert. Ich habe sie nach New York eingeladen und einen ganzen Tag mit ihren Anwälten verbracht und bin mit ihnen alles durchgegangen.“

„Einstweilige Verfügung“: Hürde in Österreich

Eine solche Transparenz als Rezept für Österreich? „Wenn ich das machen würde, hätte ich ganz schnell eine einstweilige Verfügung am Hals“, erklärte News-Journalist Kurt Kuch in der anschließenden Diskussion. Doch es ist nicht der einzige Unterschied: In Österreich gibt es das Amtsgeheimnis, das den Zugang zu vielerlei Quellen erschwert.

Für Bewunderung bei einigen der anwesenden JournalistInnen sorgte Barstows´ eigener Arbeitsethos: „Die wichtigste Waffe, die ich als Investigativjournalist habe, ist meine moralische Integrität“, so der US-Journalist. „Sie ist zugleich mein Schwert und mein Schild.“ Denn mit seiner Einstellung „to be a simple seeker of truth“ könne er Quellen am besten davon überzeugen, sich ihm zu öffnen und sogar vielleicht ihre Karriere zu riskieren. Zugleich schütze ihn diese Haltung vor dem Vorwurf, parteiisch zu sein.

Gut gemeint vs. gut gemacht

Ob er stolz sei auf die Geschichte über Walmart, fragte STANDARD-Journalistin Renate Grabner ihren US-Kollegen. Dieser antwortete mit einer erschütternden Geschichte aus seiner eigenen Karriere: Mit einem Bericht über den jüngsten minderjährigen Straftäter, der mit Gefängnis der Erwachsenen saß, wollte er darauf aufmerksam machen, wie problematisch genau das ist. Zwar wurde der Betroffene nach der Veröffentlichung ins Jugendgefängnis verlegt, doch besser sei es ihm dort nicht gegangen, ganz im Gegenteil, erzählte Barstow.

Doch dem nicht genug: Nach seiner Freilassung wurde er erneut verhaftet und wegen Verletzung von Bewährungsauflagen (im Auto, in dem er aufgegriffen wurde, lag ein Stück eines Joints) zu einer weiteren, sehr hohen Gefängnisstrafe verurteilt: Es war der gleiche Richter, der ihn in das Erwachsenengefängnis geschickt hatte. Barstow führt das strenge zweite Urteil auf seinen Artikel zurück, der den Richter verärgert hätte.

Für stärkere Kontrollrechte gegenüber AmtsträgerInnen

Zwei Tipps gab der New York Times-Journalist David Barstow seinen österreichischen KollegInnen mit: Etwas dagegen tun, dass Berichterstattung durch Gerichte behindert werden kann; und sich für einen Freedom of Information Act stark machen – eine indirekte Unterstützung für www.transparenzgesetz.at sozusagen.

Am Ende der Diskussion räumte Barstow noch mit einem Vorurteil auf, denn viele würden sich die Arbeit von Investigativjournalisten viel heroischer vorstellen, als sie tatsächlich sei. „Die Arbeit ist eigentlich sehr langweilig, denn man verbringt sehr viel Zeit damit Akten zu lesen, ohne zu wissen, ob sich die Mühe überhaupt lohnt“, so Barstow. Und: Bei vielen Aufdeckergeschichten gehe es gar nicht so sehr darum, dass man Geheimnisse offenbart. Vielmehr seien die Informationen oftmals frei zugänglich und es liege an den JournalistInnen, den eigentlichen Sinn zu finden.

Zuletzt noch eine aus meiner Sicht wichtige Feststellung in der Diskussion: In Österreich ist in Bezug auf Investigativjournalismus ein Hype entstanden – und nicht auf alles trifft der Begriff zu. Zugleich aber werde auf Journalismus ein viel zu hoher Maßstab angesetzt, wie Mathias Karmasin festhielt: „Journalisten sind keine Staatsanwälte oder Richter.“ Das entlässt JournalistInnen zwar nicht aus ihrer Verantwortung, sich in ihrer Arbeit an den Berufsethos zu halten. Doch bisweilen hat man in Österreich den Eindruck, dass im Gengensatz zur Justiz allzu viel von JournalistInnen erwartet wird – man aber nicht lieber tut, als auf diesen Berufstand zu schimpfen. Für beides gibt es meiner Ansicht nach gute Gründe btw.

Kampfgeist nach dem Jammertal

Die Gespräche mit meinen KollegInnen im Anschluss an diese Diskussion aber geben mir Hoffnung. Denn trotz der schwierigen Lage dieser Branche gibt es immer noch genug Leute, für die ein Journalismus, wie ihn Barstow geschildert hat, vorbildhaft ist, und die sich mit der derzeitigen Lage nicht abfinden wollen. Ich für meinen Teil bin deshalb wieder optimistischer, was die Zukunft des Journalismus betrifft. Mal sehen, wohin das führt. Ich weiß nur eins: Vor nicht allzu langer Zeit war Jammertal angesagt, inzwischen aber hauen immer mehr Menschen auf den Tisch. Das heißt, es ist der Kampfgeist geweckt worden – und das ist aus meiner Sicht der erste Schritt zur Besserung.