Warum ernennt Francois Hollande eigentlich eine neue Regierung, wenn diese doch gar keine Mehrheit im Parlament hat? Diese Frage stellten mir in den letzten Tagen mehrere FreundInnen. In der Tat mag es von Österreich oder Deutschland aus betrachtet erstaunlich sein. Es ist allerdings wohl der sichtbarste Ausdruck des präsidentiellen Systems, das Frankreich nun einmal ist.

Bislang hat noch fast jeder neu gewählte Präsident auch eine neue Regierung ernannt. Nur hatten die Konservativen zum Beispiel im Jahr 2007 die Mehrheit im Parlament, weshalb dies nicht so überraschend schien. Anders die Situation im Jahr 1981, als mit Francois Mitterrand zum ersten Mal in der 5. Republik ein linker Präsident gewählt wurde: Auch dieser ernannte eine neue Regierung unter dem Sozialisten Pierre Mauyroy, obwohl die Konservativen in der Nationalversammlung noch die Mehrheit hatten. Erst im Juni fanden die Parlamentswahlen statt, bei denen die WählerInnen Mitterrand sozusagen die entsprechende Mehrheit nachreichten.

Hintergrund für all dies ist, dass der Präsident im französischen politischen System eine deutlich wichtigere Funktion einnimmt als etwa in Deutschland oder Österreich. So ernennt er nicht nur die neue Regierung, er hat außerdem das Recht, das Parlament aufzulösen – und er übt den Vorsitz im Ministerrat aus.

Wie intensiv sich der Präsident einmischt, hängt vom Amtsverständnis ab. So galt etwa Sarkozy als „hyperaktiver“ Präsident, dessen Premier eher Erfüllungsgehilfe denn selbständiger Akteur war. Genau in diesem Punkt will sich Francois Hollande von seinem Vorgänger unterscheiden: Er wolle kein omnipräsenter Präsident sein, der sich überall einmischt, erklärte er. Vielmehr gebe er die großen Linien vor, es sei Aufgabe seines Premierministers Jean-Marc Ayrault, diese mit Leben zu füllen.

Wie sehr der Präsident in der Regierungspolitik tatsächlich mitmischen kann, darüber sind auch VerfassungsjuristInnen in Frankreich nicht einig. Denn von der Verfassung her hat der Präsident nicht die Kompetenzen, Regierungspolitik zu machen. Aus ihr wurde lediglich abgeleitet, dass er in der Außen-, der Verteidigungs und Justizpolitik mitwirken kann. Doch diese Frage stellte sich in Wahrheit erst, als Präsident und Regierung aufgrund parlamentarischer Mehrheiten nicht dem gleichen politischen Lager angehörten: Die so genannte „Cohabitation“.

Zum ersten Mal war dies im Jahr 1986 der Fall: Damals fanden regulär Parlamentswahlen statt und als Sieger gingen die Konservativen unter Jacques Chirac hervor, woraufhin dieser von Mitterrand zum Premierminister ernannt wurde. Als Mitterrand im Jahr 1988 wiedergewählt wurde, ernannte er jedoch sofort wieder einen neuen, linken Premierminister und rief Neuwahlen aus – die ihm erneut eine linke Mehrheit brachten.

Die dritte Cohabitation entstand im Übrigen aus einer Fehlkalkulation von Chirac heraus: Dieser war 1995 als Präsident gewählt worden und machte im Jahr 1997 von seinem Recht Gebrauch, die Nationalversammlung aufzulösen. Doch er verschätzte sich und die so genannte „Gauche plurielle“ unter Lionel Jospin gewann die Wahl. Sie regierte bis 2002, als der Präsident neu gewählt wurde, außerdem standen ohnehin regulär Parlamentswahlen an (die Legislaturperiode dauert fünf Jahre). Als wiederum Chirac zum Präsidenten gewählt wurde, ernannte auch er sofort mit Jean-Pierre Raffarin einen neuen Premier, obwohl die Konservativen erst bei den Wahlen im Juni die Mehrheit auch im Parlament erhielten.

Im Moment versucht die UMP Wahlkampf für eine ebensolche Cohabitation zu machen. Das Argument der Konservativen lautet, dass die Linke nun überall die Mehrheit hat, von den Kommunen bis zum Senat. Daher brauche es in der Nationalversammlung eine andere Mehrheit, um dieser Übermacht etwas entgegenzusetzen.

Bleibt noch die Frage, welche Funktion die nun ernannte Übergangsregierung unter Jean-Marc Ayrault denn nun eigentlich erfüllt. Eine ist allzu offensichtlich: Sie dient Wahlkampfzwecken. Denn einerseits beschließt sie im Moment sehr symbolische Maßnahmen, mit der sie Signale an ihre WählerInnenschaft auszusenden versucht. Andererseits hat es natürlich ein anderes Gewicht, wenn es nun MinisterInnen sind, die in ihren Wahlkreisen um Stimmen werben. Die Opposition wiederum ist im Moment auf die Rolle der Kommentatorin der Regierung reduziert – bekanntlich keine besonders verheißungsvolle Rolle während eines Wahlkampfs.

Eine aktuelle Umfrage sagt indessen ein knappes Rennen zwischen Linken und Rechten im ersten Wahlgang voraus. Grundsätzlich geht man allerdings davon aus, dass es zu keiner Überraschung kommt. Sollte die Wahl doch anders ausgehen, wäre dies eine Sensation, denn es wäre das erste Mal, dass die WählerInnen dem frisch gewählten Präsidenten nicht auch noch eine Mehrheit im Parlament gegeben hätten.